Wenn tote Kinder Freude machen
Immer wieder bringt der Raketenbeschuss israelischer Städte aus Gaza die ganze Region an den Rand des nächsten Krieges, da Israel keine Rakete mehr unbeantwortet lässt. Ein Interview mit den Männern, die mit Bomben Politik machen wollen.
Der Kampf ist sein Leben. Seitdem er siebzehn Jahre alt ist, dient der 34 Jahre alte Mann mit dem Kampfnamen Abu Khaled (seinen wahren Namen hält er geheim) in den Reihen des Islamischen Dschihad, eine der extremistischsten palästinensischen Organisationen. Weder die Fatah, die säkulare pragmatische Regierungspartei die heute das Westjordanland beherrscht, noch die radikal-islamische Hamas, die heute den Gazastreifen kontrolliert, waren dem Extremisten aus Gaza militant genug: „Ich entschied mich für den Dschihad, weil die Fatah mit Israel verhandelte und die Hamas ihre Attentate eingestellt hatte“, sagt Abu Khaled. Bis vor zwei Jahren diente er in einer Spezialeinheit des Dschihad, die Raketen auf Israel abschoss. Heute soll er unter anderem Kontakt mit ausländischen Journalisten halten.
Vor einem Jahr war der anhaltende Beschuss israelischer Städte mit hunderten Raketen Anlass für einen blutigen Krieg, der mehr als 1200 Palästinensern und 13 Israelis das Leben kostete. Noch immer sind an vielen Stellen im Gazastreifen Spuren der Verwüstung sichtbar. Seit dem Waffenstillstand ist es an der Grenze relativ ruhig. Die Bewohner israelischer Städte tasten vorsichtig ihren Weg zurück in die Normalität, der belagerte Gazastreifen versinkt jedoch immer tiefer in Armut.
Ab und zu wird die gespannte Ruhe gestört. Kleine Splittergruppen, darunter auch Abu Khaleds Kameraden, schießen immer wieder spontan Raketen und Mörser auf israelische Städte. Mehr als 250 Geschosse gingen seit Ende des Krieges auf israelischem Staatsgebiet nieder. Eine ähnliche Anzahl der ungenauen Geschosse ging im Gazastreifen selbst nieder und gefährdeten dort das Leben von Palästinensern. Israels neue Regierung unter Benjamin Netanjahu lässt keinen Beschuss unbeantwortet. Israelische Kampfflugzeuge bombardieren Ziele in Gaza, auf Bomben folgen weitere Raketen, immer wieder hält die Region ihren Atem an, ob die allseits erwartete nächste Eskalation wieder begonnen hat. An Frieden glaubt in Gaza kaum jemand.
Noch vor einem Jahr machte der Dschihad der Hamas Vorwürfe, sich an die Waffenstille zu halten. Manche Splittergruppen bezichtigen die Hamas sogar, mit Israel zu kooperieren, besonders, nachdem sie begann, den Abschuss von Raketen gewaltsam zu verhindern. Doch seit dem Krieg hat ein Umdenken stattgefunden: „Alle haben sich darauf geeinigt, die Ruhe zu bewahren. Wir verstehen, dass der Waffenstillstand zu diesem Zeitpunkt unserem Interesse dient“, sagt Abu Khaled. Trotzdem kommt es manchmal noch zu spontanen Angriffen: „Manchmal schießen Mitglieder unserer Organisation Raketen ab, um Dampf abzulassen“, sagt Abu Khaled. „Es kann persönliche Gründe haben. Die Israelis provozieren uns, sie fangen an.“ Widerspenstige Mitglieder würden zu einem Gespräch geladen, „um sie vom Beschuss abzubringen. Wenn sie nicht spuren, werden sie aus unserer Organisation ausgeschlossen“, sagt Khaled.
Die Lage der Kämpfer in Gaza wird immer prekärer. Von drei Seiten belagert Israel den Landstrich, im Süden errichtet Ägypten neue Sperranlagen, um die wichtigste Nachschublinie der Islamisten zu kappen. „Die Ägypter sind Verräter, sie sollten uns unterstützen“, sagt Abu Khaled, schließt jedoch ein gewaltsames Vorgehen gegen ägyptische Soldaten vorerst aus. „Die ägyptische Mauer wird nur das Leben der Zivilbevölkerung betreffen. Vor kurzem haben wir eine große Waffenlieferung erhalten. Die reicht uns für geraume Zeit. Wir haben genug Waffen, und andere Wege, um uns weiter zu rüsten“, sagt der Kämpfer. Freimütig bestätigt Abu Khaled, dass seine Organisation von den iranischen Revolutionswächtern finanziert wird: „Unsere Kämpfer werden im Iran ausgebildet“, sagt er. Trotzdem sei seine Organisation nicht der lange Arm Teherans: „Wir nehmen nur ihr Geld, vertreten aber ausschließlich palästinensische Interessen.“
An Frieden glaubt Abu Khaled nicht. Er kennt Israelis nur als Soldaten. Keine Geste der israelischen Regierung würde ihn je vom Friedenswillen der Gegenseite überzeugen. „Juden halten ihr Wort nie, sie werden uns nichts geben“, sagt er. Deswegen sei „die einzige Lösung, ganz Palästina mit Waffengewalt zu befreien. Nichts wird uns davon abhalten. Wir wollen die Juden nicht umbringen, sondern nach Europa zurückschicken, wo ihre Eltern herkamen“, sagt Abu Khaled, und ist überzeugt, dass er pragmatisch klingt. Mitgefühl für die Opfer der anderen Seite ist ihm fremd. Was fühlt er als Kämpfer, wenn er hört, dass eine Rakete seiner Organisation ein israelisches Kind auf der anderen Seite getötet hat? „Dann bin ich sehr zufrieden“, sagt Abu Khaled.
Der islamische Dschihad - Zusammenfassung
Der 1980 gegründete islamische Dschihad ist eine der extremistischsten palästinensischen Terrororganisationen. Sie steht dem Iran sehr nah und strebt die Vernichtung Israels und Gründung eines islamischen Kalifats ohne westliche Einflüsse an. Im Gegensatz zu anderen Bewegungen, die große Volksbewegungen mit politischer Vertretung werden wollen, ist sie eine kleine und elitistische Gruppe mit wenigen tausend Mitgliedern, die sich fast ausschließlich auf den bewaffneten Widerstand konzentriert. In der Vergangenheit waren die Al Quds Brigaden, der bewaffnete Arm des Dschihad, für eine Reihe von Selbstmordattentaten verantwortlich.
© 2009 Gil Yaron - Making the Middle East Understandable
Sehen Sie hier Bilder zum Artikel
|