Auschwitz in Jerusalem
Die Außenansicht zeigt ein kleines, zweistöckiges Häuschen, umgeben von hohen Bäumen und einem kleinen Gärtchen mit Sitzbänken, auf denen sich die Mitarbeiter ausruhen können. Die Planzeichnung wirkt idyllisch, wäre da nicht der große Schornstein, der in die Höhe ragt. Erst ein Blick ins Innere zeigt, dass es sich bei dem Gebäude nicht um einen Bauernhof, sondern eines der Krematorien von Auschwitz-Birkenau handelt. Mehr als eine Million Menschen, die meisten davon Juden, wurden im größten Vernichtungslager der Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs ermordet. Dank einer Schenkung der BILD-Zeitung des Axel-Springer Verlags werden die Pläne von nun an in der Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem ausgestellt. „Architektur des Mords“ heißt die Ausstellung, in der die Pläne der Tötungsstätte erstmals der Öffentlichkeit gezeigt werden. Sie wurde gestern anlässlich des internationalen Holocaustgedenktages am 27. Januar feierlich eröffnet.
„Ich bin sehr froh, dass die Pläne endlich hier sind. Ich glaube nicht, dass es einen besseren Platz für sie gibt, als diese einzigartige Gedenkstätte Yad Vaschem“, sagte BILD-Chefredakteur Kai Diekmann bei der Eröffnungszeremonie, zu der neben Premierminister Benjamin Netanjahu und zahlreichen Ministern auch Holocaustüberlebende, Akademiker und Vertreter des diplomatischen Corps erschienen waren. Obschon die Nazis kurz vor Kriegsende versucht hatten, alle Beweise ihrer Gräueltaten zu beseitigen, fand die Rote Armee die Pläne. Während des Kalten Krieges wurden sie der Staatssicherheit der DDR übergeben. Nach der Wende galten sie als verschollen, bis sie dem Axel Springer Verlag zum Kauf angeboten wurden. Nachdem das BKA und das Bundesarchiv deren Echtheit bestätigt hatte, übergab Springer die Pläne vor einem Jahr Israels Premier Netanjahu.
„Die Pläne sprechen nicht, aber von den Wänden schreit der Schrecken. So einfach wie diese Zeichnungen wirken, so teuflisch ist die Tat, die sie planen“, sagt Yad Vaschem Direktor Avner Schalev. Die säuberlichen Entwürfe, manche von Reichsführer-SS Heinrich Himmler persönlich gegengezeichnet, seien das Resultat einer diabolischen Weltanschauung, die „die modernsten Mittel ihrer Zeit in den Dienst des Zivilisationsbruchs stellte.“ Auschwitz stelle den Übergang von der massenhaften Tötung vieler Juden zur systematischen, industriellen Vernichtung des jüdischen Volkes dar, sagte Schalev. Der Schrecken steckt im Detail. „L. Keller“, steht auf dem Plan für das Krematorium, der von einem polnischen Häftling gezeichnet wurde – Leichenkeller. Eine Rutsche wurde zwischen den Treppen eingeplant, um die Leichen der vergasten Juden auf diese Art zu den Öfen zu befördern. Beweis dafür, dass die Architekten der SS genau wussten, zu welchem Zweck sie die Anlage in Auschwitz planten. „Uns ist kein Fall bekannt, in dem ein Architekt sich weigerte, weitere Vernichtungslager zu entwerfen“, sagt Schalev.
Für Israelis hat die Ausstellung anlässlich des 65. Jahrestages der Befreiung Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar eine besondere Bedeutung. Eine Studie der Jewish Agency spricht von einer rasanten Zunahme antisemitischer Vorfälle im Jahr 2009, der höchsten Zahl seit Ende des Zweiten Weltkriegs. „Gegen die Leugner historischer Verbrechen muss genau auf dieselbe Art vorgegangen werden wie in einem Gerichtsverfahren – mit Beweisen“, sagte Premier Netanjahu. Zeitzeugen allein reichten nicht aus, deswegen seien die Pläne von Auschwitz so wichtig. Der neue Antisemitismus äußere sich oft als Hass gegen Israel. Klar brachten die Redner ein Gefühl der Bedrohung durch den Iran, der wiederholt die Vernichtung Israels gefordert hat, zum Ausdruck: „Wenn wir eins gelernt haben ist es, dass man Drohungen ernst nehmen muss“, sagte Bildungsminister Gideon Saar. „Die Welt muss das Böse konfrontieren wenn es noch klein ist“, forderte auch Netanjahu: „Man sollte daran denken, dass Pogrome zwar oft mit Juden beginnen, aber nicht aufhören.“
© 2009 Gil Yaron - Making the Middle East Understandable
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