Autobahn und Symbol
Für Israelis ist Autobahn 443 einfach nur eine bequeme Alternative, um von Tel Aviv nach Jerusalem zu gelangen. Nur zwei Autobahnen verbinden zwischen den beiden wichtigsten Städten des Landes, und die Autobahn Nummer 1 ist ständig verstopft. Für Palästinenser hingegen ist der 25 Kilometer lange Abschnitt, der sich durchs Westjordanland zieht, längst zu einem Symbol für Enteignung und ihre Leiden geworden. Denn obschon die Trasse der 443 über enteignete Grundstücke von Palästinensern verläuft, ist denen die Nutzung der vierspurigen Autobahn seit sieben Jahren verboten. Laut dem Beschluss des höchsten Gerichtshofes in Jerusalem soll sich das in fünf Monaten ändern.
Der damalige militärische Oberbefehlshaber des Westjordanlands, verfügte im Jahr 2002, die Straße für Palästinenser zu schließen, nachdem palästinensische Terroristen in mehreren Attentaten sieben israelische Autofahrer erschossen hatten. Das Muster der Anschläge war identisch: eine bewaffnete Gruppe lauerte den Israelis auf oder fuhr ihnen hinterher, erschoss die Opfer und nutzte die Autobahn 443, um zu fliehen. Seitdem die Straße geschlossen ist haben sich hier keine Attentate mehr ereignet.
Sechs arabische Dörfer liegen direkt neben der bequemen Straße, die sie innerhalb weniger Minuten zur Arbeit bringen könnte. Für sie war die Schließung ein schwerer Schlag. „Der Weg nach Ramallah dauerte früher 15 Minuten, jetzt fahre ich anderthalb Stunden“, sagt Hassan Mardscheh, Bürgermeister von Beit Laqiyah. Bürgerrechtler verurteilten das Verbot als eine Manifestation einer israelischen Apartheidpolitik, der israelische Kolumnist Gideon Levy bezeichnete die Straße gar als „Verkehrsachse des Bösen.“ Gemeinsam klagten israelische Organisationen und die Palästinenser gegen die Schließung von 443.
Jetzt befahl der höchste Gerichtshof in Jerusalem der Armee, innerhalb von fünf Monaten andere Sicherheitsvorkehrungen für Israelis zu treffen, die die Autobahn im Westjordanland nutzen wollen. „Die totale Verweigerung des Nutzungsrechts für eine Straße, die sich auf Land befindet, dass den Zivilisten genommen wurde und die ihnen dienen sollte, wiegt schwerer als der Zuwachs an Sicherheit für Israelis“, schrieb der israelische Richter Uzi Vogelman im Urteil. Das Gesetz könnte Grundsatzcharakter haben: Laut manchen Schätzungen sind mehr als 160 Kilometer Straße im Westjordanland für Palästinenser geschlossen. Dies, so das Urteil, verstoße gegen internationales Recht.
Die Entscheidung hätte zu keiner heikleren Zeit fallen können. Vor einer Woche wurde ein Siedler von palästinensischen Terroristen auf einer gemeinsam genutzten Straße im Westjordanland erschossen. Kurz darauf wurde eine junge Frau andernorts im Westjordanland schwer verletzt, nachdem ein Palästinenser einen Brandsatz auf ihr Auto geworfen hatte. Auch diese Straße war kurz zuvor auf Anweisung des Gerichts für Palästinenser geöffnet worden. Bei den Siedlern und vielen anderen Israelis macht sich angesichts des Urteils deswegen Empörung breit: „Diese Entscheidung ist doch lebensgefährlich“, sagte Frida Souveri, die drei Familienangehörige in einem Attentat verloren hat, der israelischen Nachrichtenseite YNET. Der Bürgermeister von Modiin, einer israelischen Stadt, die sich Dank der 443 einer guten Verkehrsanbindung erfreut, beschuldigte die Richter, jeden Bezug zur Realität verloren zu haben: „Man stellt die Lebensqualität der Palästinenser höher als unsere Sicherheit.“
Nirith Moskovic, die die Palästinenser vor Gericht vertreten hatte, widersprach dieser Haltung: „Israelis sollten es nicht als selbstverständlich ansehen, durch die besetzten Gebiete zu fahren. Es gibt auch andere Wege, um diese Autobahn für alle sicher zu machen.“ Auch sie schmerze der Tod unschuldiger Israelis, aber es könne „nicht angehen, dass zehntausende Palästinenser deswegen von einer wichtigen Verkehrsader abgeschnitten werden.“
© 2009 Gil Yaron - Making the Middle East Understandable
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