Zurück zum Teufelskreis?
In Bethlehem tummelten sich am Wochenende unbekümmert tausende Touristen und begeisterte Pilger, die Dank der intensiven Kooperation palästinensischer und israelischer Sicherheitsdienste fast ungehindert zwischen Jerusalem und Bethlehem pendeln konnten. Doch wenige Kilometer nördlich waren Extremisten damit beschäftigt, diese langsam wachsende Zusammenarbeit zu stören.
In der Nacht zum Freitag verübte eine Splittergruppe des bewaffneten Arms der Fatah ein Attentat im Westjordanland. Terroristen überholten in der Nähe der Siedlung Schavei Schomron ein israelisches Fahrzeug und schossen aus automatischen Waffen auf den Fahrer. Der 40 Jahre alte Kindergärtner Meir Chai starb sofort. Der Vater von sieben Kindern wurde am nächsten Tag beigelegt. Erst eine Woche zuvor hatte die Armee eine Straßensperre entfernt, die lange Zeit nur wenige hundert Meter vom Tatort palästinensische Fahrer überprüft hatte. In den vergangenen Monaten hat die israelische Regierung zig solcher Straßensperren entfernt, um den Alltag der Palästinenser im besetzten Westjordanland zu erleichtern. „Die Regierung zieht es vor, für die Bequemlichkeit der Palästinenser zu sorgen, statt für unser Überleben“, empörten sich Siedler nach dem Attentat. „Wir werden vorerst weiter an der Politik festhalten und Straßensperren entfernen“, sagte daraufhin ein hochrangiger Militär unserer Zeitung. Doch die israelische Regierung, die sich ohnehin aufgrund eines temporären Baustops auf Kollisionskurs mit den Siedlern befindet, brachte das Attentat in Zugzwang.
Eine Splittergruppe der Al-Aqsa Brigaden, der bewaffnete Arm der Fatah, bekannte sich wenig später zum Anschlag. In der Nacht zum Samstag verübte Israel Vergeltung. Kommandotruppen fielen in der palästinensischen Stadt Nablus ein. Die drei mutmaßlichen Täter wurden in ihren Verstecken erschossen. „Unsere Soldaten riefen die Männer dazu auf, sich zu ergeben. Als sie sich weigerten, eröffneten wir das Feuer“, sagte ein Armeesprecher unserer Zeitung. Die Armee bestätigte, dass die drei Palästinenser kein Feuer auf die Soldaten eröffnet hätten. „Das waren extrem gefährliche Männer. Wir warten nicht darauf, zuerst erschossen zu werden“, so die Armee. Palästinenser hingegen sprechen von einer gezielten Tötung der Männer. Deren Schuld scheint erwiesen, nachdem ballistische Untersuchungen zeigten, dass eines der Gewehre, die bei einem der Männer gefunden worden waren, die Tatwaffe war.
Dennoch regen sich jetzt Fragen über die Kooperation zwischen Israel und der Sicherheitskräften der palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Der Einsatz der Israelis fand in einem Gebiet statt, das der Aufsicht der PA untersteht. „Die Israelis wollen keinen Frieden. Sie hätten uns einfach bitten können, die Männer zu verhaften, dann hätte ich es selbst getan“, sagte ein hochrangiger PA-Offizier unserer Zeitung. Für die PA ist die Tötung der Fatahanhänger in Nablus ein schwerer Schlag. In der Bevölkerung habe es anfangs keinen Rückhalt für die Attentäter gegeben, so der Offizier. „Es geht uns besser, solange Ruhe herrscht. Keiner wollte das Attentat auf die Siedler“, beteuerte der Offizier, dessen Familienmitglieder selber Aktivisten in den al-Aqsa Brigaden sind.
Der Einsatz der Israelis, die die drei Aktivisten der Fatah „kaltblütig erschossen“ hätten, habe die öffentliche Stimmung jedoch angeheizt. „Das untergräbt das Ansehen der Sicherheitsorgane, die versuchen, gemeinsam mit Israelis für Recht und Ordnung zu sorgen“, sagte der Offizier. Mehr als 20.000 Menschen kamen zum Begräbnis der drei Terroristen, von denen zwei langjährige Haftstrafen in israelischen Gefängnissen abgesessen hatten. Lauthals forderten sie, jede Kooperation mit Israel einzustellen. Selbst der als friedfertiger Pragmatiker bekannte PA Premier Salim Fayad stattete den Hinterbliebenen der Terroristen einen Kondolenzbesuch ab und bezeichnete den israelischen Einsatz als „gefährliche Eskalation“.
In Israel hingegen war man auf die schnelle Reaktion der eigenen Sicherheitsdienste stolz. Premier Benjamin Netanjahu lobte seine Truppen und erklärte, man werde „aggressiv gegen jeden vorgehen, der israelische Staatsbürger angreift.“ Auf die Frage, weshalb Israel nicht die PA dazu aufgefordert hatte, die Männer aufzugreifen, antworteten Quellen im Amt des Premiers und in der Armee einhellig: „Das war ein Sonderfall. Ein Israeli wurde getötet, die Täter standen den Sicherheitsdiensten sehr nahe. Deshalb mussten wir das selber erledigen.“ Vor einem Jahr hatte Israel noch anders gehandelt. Damals gaben israelische Sicherheitsorgane den Palästinensern Hinweise über eine Terrorzelle, die zwei Soldaten auf dem Gewissen hatte. Die Terroristen wurden von der PA verhaftet und sitzen seither in Hebron in Haft. Israelische Sprecher gaben keine Auskunft darüber, warum diesmal anders gehandelt wurde.
„Wir wollen auch künftig mit der PA kooperieren“, beteuerte Netanjahus Sprecher Mark Regev gegenüber unserer Zeitung. Dennoch „sollte niemand glauben, dass wir jemals den Mord an einem unserer Staatsbürger als Routine hinnehmen werden. Der Einsatz in Nablus sendet eine wichtige Botschaft an unsere Gegner.“ Der hohe Offizier in Nablus sprach ebenfalls davon, dass die Kooperation mit den Israelis fortgeführt würde. „Nach dem Einsatz ist unsere Aufgabe aber um einiges schwieriger geworden“, sagte er.
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