Bruderzwist geschlichtet
Das Kommuniqué aus Kairo von Ägyptens Geheimdienst schlug Mittwochabend wie eine diplomatische Bombe ein: „Die Konsultationen zwischen Hamas und Fatah endeten in vollem Einvernehmen in allen Punkten“, hieß es. Sogar Israels Geheimdienste, nicht zu sprechen von palästinensischen und israelischen Medien, waren völlig überrumpelt. Selbst der Sprecher von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas musste nach Dienstschluss erst einmal zurück in sein Büro fahren, um Fragen zu beantworten: Er war über die Details der Versöhnungsgespräche und des Abkommens offensichtlich nicht im Bilde gewesen. Doch wenig später waren Kommentatoren in Nahost sich einig: Der palästinensische Schulterschluss ist ein historisches Ereignis mit weitreichenden Konsequenzen für die gesamte Region.
Aus palästinensischer Sicht handelt es sich um einen Meilenstein auf dem Weg zur Unabhängigkeit. Der Bruderzwist galt als größtes Hindernis für die Bemühungen Abbas, die Anerkennung eines Palästinenserstaats durch die Vereinten Nationen im September zu erwirken. Direkte Friedensverhandlungen mit Israel wurden bereits vor Monaten eingestellt. Solange sein Lager gespalten war, konnte Abbas nicht für sich in Anspruch nehmen im Namen aller Palästinenser zu sprechen. Für die Hamas bietet der Schulterschluss mit Abbas einen Weg aus der diplomatischen Isolation.
Regionale Entwicklungen halfen das Abkommen zustande zu bringen. Inhaltlich unterscheidet es sich kaum von früheren Versuchen, die Kluft zwischen Hamas und Fatah zu überbrücken. Seitdem Unruhen in Nahost die Schutzmächte der Streithähne erschüttern, hat sich das Verhandlungsklima aber bedeutend verändert. „Die Hamas ist in Panik, weil ihrem wichtigsten Mentor in Damaskus der Sturz droht, die Fatah fürchtet, dass in den Wahlen in Ägypten die Muslimbrüder an die Macht kommen und sie noch weiter isoliert wird“, schätzte Israels Außenminister Avigdor Liebermann in einem Interview an das Armeeradio in überraschender Übereinstimmung mit der Einschätzung palästinensischer Quellen in Ramallah und Gaza. „Früher stellten die Ägypter der Hamas ein Ultimatum, dass diese ablehnte. Jetzt gingen sie auf sie ein“, sagt Ijad Saradsch, der als unabhängiger Politiker seit Jahren vermittelt.
Abbas machte bedeutende Zugeständnisse an die Islamisten, darunter der Verzicht auf die Rückkehr seiner Truppen nach Gaza. Die Hamas konnte einen Punktesieg verbuchen. Fortan wird die Hamas in der Dachorganisation aller Palästinenser, der Befreiungsbewegung PLO, vertreten sein. Die Hamas wird die Kontrolle über ihre Sicherheitsdienste behalten und Teil eines gemeinsamen Übersichtsgremiums werden. Spätestens Mai 2012 sollen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stattfinden. Bis dahin soll eine Übergangsregierung unabhängiger Technokraten die Geschäfte übernehmen. Der international hoch angesehene, unabhängige Premier Salim Fayad müsste dann seinen Hut nehmen, sehr zur Freude von Parteimitgliedern der Fatah und Hamas, deren Pfründe der ehemalige Banker im Kampf gegen Korruption erheblich beschnitten hatte.
Die Hamas machte jedoch klar, dass von Mäßigung keine Rede sein kann. Die Einrichtung einer Einheitsregierung bedeute nicht, dass die Hamas Israel anerkenne oder an Friedensverhandlungen mit Israel teilnehme, sagte Hamasführer Mahmud Sahar auf einer Pressekonferenz in Kairo. Israel reagierte mit Härte auf das Abkommen, das Israels Erzfeind Iran begrüßte. Abbas müsse sich „zwischen Frieden mit Israel und Frieden mit der Hamas entscheiden“, sagte Premierminister Benjamin Netanjahu. „Frieden mit beiden ist unmöglich, weil die Hamas die Vernichtung Israels anstrebt, unsere Städte mit Raketen und unsere Kinder mit Panzerabwehrraketen beschießt.“ Der Schulterschluss mit den Islamisten wecke die Frage, ob die Hamas nicht auch das Westjordanland in ihre Gewalt bringen könnte. Selbst Israels Friedenslager reagierte nervös. „Wir hoffen, dass Gaza in den Fußstapfen Ramallahs folgen wird, und nicht umgekehrt“, hieß es in einem Kommuniqué der Meretz-Partei.
Bevor Fatah und Hamas eine Einheitsregierung bilden, müssen sie hohe Hürden überwinden. Frühere Abkommen scheiterten an persönlichen Ambitionen. Der neue Vertrag legt nur Prinzipien fest, personelle Fragen und spezifische Mechanismen wurden nicht geklärt - viel Raum für Streit, der das Abkommen zu Fall bringen könnte. Auch prinzipielle Fragen wurden nicht geklärt: Wird die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) wie bisher mit Israel im Westjordanland kooperieren, oder jede Zusammenarbeit mit der Armee verweigern? Darauf gab es am Donnerstag unterschiedliche Antworten. Während die Fatah das palästinensische Interesse mit Kooperation wahren wollte, sagte die Hamas, eine Einheitsregierung könne keinesfalls mit Israel zusammenarbeiten. Bisher war diese Zusammenarbeit Garant für eine produktive Ruhe die der PA ein Wirtschaftswachstum von über 7% bescherte. Jetzt, so sagte Mahmud Sahar, wollen beide Seiten zig politische Häftlinge freilassen, darunter vielleicht auch Attentäter. In diesem Fall wird Israel die für beide Seiten nützliche Kooperation einstellen und zu einer Politik der Konfrontation übergehen. Auch auf der diplomatischen Ebene ist unklar, wie die Staatengemeinschaft auf einen Rücktritt des anerkannten Premiers Salim Fayad reagieren wird, weil er Geberstaaten als Gewährsmann für eine effiziente, friedliche, pro-westliche Staatsführung galt. Der amerikanische Kongress überprüft bereits, ob er nun die Budgethilfe an die Palästinenser in der Höhe von 470 Millionen US$ im Jahr einstellen wird, weil die Hamas die Rahmenbedingungen des Nahost-Quartetts, wie eine Abkehr von Gewalt, die Anerkennung Israels und bereits unterzeichneter Verträge, nicht akzeptiert.
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