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Written by Gil Yaron   
Tuesday, 02 February 2010
Professoren auf Achse

Es ist wohl einer der ungewöhnlichsten und schnellsten Vorträge, die Professor Idan Segev in seinem Leben gehalten hat. Dazu tragen vor allem die Umstände bei: Bei einer Geschwindigkeit von 150 Stundenkilometern drängen sich die Zuhörer im Gang, die Sitzplätze reichen dem interessierten Publikum nicht aus. Gebannt lauschen sie dem Vortrag, der wiederholt von Verlautbarungen des Schaffners übertönt wird. Immer wieder hält sich Segev in letzter Sekunde an den Sitzen fest, um nicht vornüber zu fallen. Ein Zugabteil bietet anscheinend keine idealen Bedingungen. Trotzdem will der renommierte Gehirnforscher die 70 Minuten Zugfahrt nutzen, um die Pendler zwischen Tel Aviv und Haifa über die neuesten Entwicklungen der Hirnforschungen aufzuklären.

Segevs Vortrag ist der dritte einer Reihe, die die Hebräische Universität in Jerusalem vor kurzem gestartet hat. „Dozenten auf Rädern“ hießt das Programm, mit dem die breite Öffentlichkeit gewonnen werden soll. Im Hauptbahnhof von Tel Aviv betritt Segevs Mannschaft den Zug. Eine Assistentin macht Werbung. Freundlich lächelnd schreitet sie durch die Abteile und verkündet: „Im ersten Abteil gibt es einen Vortrag über Gehirnforschung“. Anfangs blicken die Menschen sich verwundert an. Dann klappen Soldaten und junge Geschäftsreisende ihre Laptops zu oder rollen die Kopfhörer ihrer MP3 Player auf. Ein Menschenstrom fließt in Richtung Segev, der mitten im Wagon zwei tragbare Lautsprecher aufgestellt hat. Eine Gruppe von vier Rentnern hat am Vortag im Radio von der Initiative erfahren: „Wir wollen nicht nach Haifa. Wir sitzen nur im Zug, um den Vortrag zu hören“, sagt die 66 Jahre alte Ruth Ben Nun, eine ehemalige Krankenschwester, aus Tel Aviv.

Segev kann eine ganze Liste beeindruckender Forschungsergebnisse vorweisen. Damit ist er in Israel nicht allein. Das Land ist stolz auf seine akademischen Errungenschaften. In den vergangenen acht Jahren gewannen israelische Forscher fünf Nobelpreise. Ein Viertel der hiesigen Akademiker hat gleichzeitig eine Professur in den USA, der höchste Anteil weltweit. Aber die Lage der Universitäten wird immer schlechter. Seit 2002 hat die israelische Regierung ihr Budget jedes Jahr um rund 300 Million Euro gekürzt, insgesamt um rund 20%. Etwa 400 Akademiker wurden in den frühen Ruhestand entlassen. Professor Menachem Ben Sasson, Präsident der Hebräischen Universität, fürchtet um die Zukunft des Wissenschaftsstandorts Israel. „Vor 12 Jahren hatten wir hier noch 1300 Dozenten, heute sind es nur noch 950, obschon die Zahl der Studenten von 19.000 auf 23.000 gestiegen ist“, sagt er unserer Zeitung. „Viele begabte junge Forscher wandern ab, weil ich ihnen keine Labors mehr zur Verfügung stellen kann“, so Ben Sasson. Seine Institution übernehme inzwischen viele Verpflichtungen der Regierung: „Etwa ein Drittel meines Haushalts zahle ich an unsere Rentner. Damit subventioniere ich doch eigentlich die Regierung, die das tragen müsste. Das Geld fehlt überall.“ Die Universität in Jerusalem errichtet gerade das größte Hirnforschungszentrum Europas, „aber noch fehlen uns rund 60 Million Euro“, sagt auch Segev.

Die „Dozenten auf Rädern“ wollen ihre Arbeit der breiten Bevölkerung näher bringen: „Was wir tun hat einen direkten Einfluss auf euren Alltag“, betont Segev. „Ihr sollt wissen, was wir mit unserem Budget anfangen, schließlich ist es euer Geld“, sagt er seinen Zuhörern. Er plädiert für mehr Verständnis für die kostspielige Grundlagenforschung: „Sie ist der erste Schritt“, sagt Segev, während draußen vor dem Fenster die grünen Hügel des Carmel vorbeifliegen. Manche stehen im dicht gedrängten Abteil den ganzen Weg, um zu lauschen. Weitere Zuhörer wären gekommen, wenn Platz gewesen wäre. „Schade, dass man das nicht im ganzen Zug hören kann“, sagen zwei junge Soldaten in einem anderen Abteil. „Ich kann einfach nicht so lange stehen“, entschuldigt sich ein älterer Herr. Diejenigen, die einen Platz in Segevs Abteil ergattert haben, nicken interessiert, wenn er von Optogenetik und tiefer Hirnstimulation spricht oder den Takt nachahmt, in dem Nervenzellen ihre Signale abfeuern. Vor lauter Fragen kommt der Professor nur langsam in der Materie vorwärts, ganz anders als der Eilzug nach Haifa. Ältere Herrschaften wollen mehr über Krankheiten erfahren, junge haben eher philosophische Fragen.

In Tel Aviv angekommen resümiert Segev die Erfahrung vom Vortrag, der viel zu kurz war: „Wir müssen unseren Elfenbeinturm verlassen und auf die Menschen zugehen.“ Die Resonanz der Pendler ist positiv. In einer Sache ist man sich bereits einig: „Ich hoffe, die machen das jetzt öfter“, sagt Noga Ibezon, eine 27 Jahre alte Studentin für Soziologie. Für kommenden Monat plant die Universität bereits den nächsten öffentlichen Vortrag.

© 2009 Gil Yaron - Making the Middle East Understandable

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