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Written by Gil Yaron   
Sunday, 13 February 2011
Freiheit des Geistes

Midan al Tahrir, der “Platz der Befreiung“ in Kairo, hat 57 Jahre nach seiner Benennung endlich seinen Namen verdient. Der Mut der Millionen, die 18 Tage lang einem brutalen Regime die Stirn boten und am friedlichen Charakter der Proteste festhielten, hat nicht nur Ägypten befreit. Dabei ist Nebensache, was für ein Regime sich letztlich in Kairo etablieren wird. Die Armee beteuert „allen Forderungen der Demonstranten nachkommen“ zu wollen. Noch immer besteht aber die Gefahr, dass der Diktator Hosni Mubarak letztlich nur durch einen anderen Despot ersetzt wird. Der Einfluss des militärisch-industriellen Molochs, der angeblich rund 15% der Wirtschaft kontrolliert, ist immens. Es ist schwer vorstellbar, dass die Generäle sich von Zivilisten entmachten lassen. Trotzdem haben die Massenkundgebungen, die Mubarak stürzten, etwas wichtigeres zerschlagen als dessen 30 Jahre altes Regime. Sie haben der arabischen Welt einen Jahrhunderte alten Geist ausgetrieben.

Die Probleme Ägyptens haben Beispielcharakter für die gesamte arabische Welt. Wie die Arab Human Development Reports der Vereinten Nationen seit 2002 akribisch dokumentieren, leidet diese unter drei grundlegenden Mängeln: Keine politische Freiheit, keine Emanzipation und unzureichende Bildung. Dies führte dazu, dass 22 arabische Staaten sich im Vergleich zum Rest der Welt zurückentwickeln. Dabei genoss die arabische Welt vor tausend Jahren einen gewaltigen Vorsprung. Noch im späten zehnten Jahrhundert enthielt die Hauptbibliothek Cordobas, nur eine von 70, rund 400.000 Bücher. Die größte christliche Bibliothek dieser Zeit, das Benediktinerkloster in St. Gallen, konnte gerade einmal mit 600 Schriften aufwarten.

Diese drei Grundprobleme sind aber nur Symptome. Sie entstammen einem historischen Komplex. Die stolzen arabischen Eroberer von einst sehen sich als Opfer fremder Einmischung, als hilfloser Spielball übermächtiger Feinde. Im Nahen Osten wird nichts ohne Verschwörungstheorien erklärt. Sandstürme in der libyschen Wüste, Haifischattacken oder soziale Spannungen, Armut, AIDS oder Terrorangriffen – alles wird als Komplott der allmächtigen Zionisten und ihrer westlichen Verbündeten abgetan. Das 20. Jahrhundert schien das zu bestätigen. Nur sieben Millionen Israelis widerstehen seit 62 Jahren mehr als 300 Millionen Arabern. Europäische Heilsideen wie Nationalismus und Sozialismus überrollten die Region und boten doch keine Lösung, während Fremdmächte den Nahen Osten zur politischen Spielwiese machten und nach eigenem Gutdünken Verbündete ein- und Gegner absetzten.

Die Revolutionen in Tunesien und Ägypten räumen mit diesem Gedankenschema  auf. Erstmals fanden Ägypter Verantwortung und Lösungen bei sich selbst. Auffallend war, was bei den Protesten fehlte: Amerikanische oder israelische Flaggen wurden nur am Rand verbrannt. Die neuen arabischen Revolutionäre schüttelten ihren Opferkomplex ab und wollen ihr eigenes Heil herbeiführen. Sogar Extremisten der Muslimbruderschaft befürworten dabei das Konzept demokratischer Mitbestimmung aller Bürger, eine Vorstellung, die vielen reaktionären Bewegungen im Nahen Osten noch vor wenigen Jahrzehnten fremd war.

Bis sich in Ägypten ein funktionierendes demokratisches System und eine florierende Wirtschaft etablieren wird noch viel Zeit verstreichen. Auf dem Weg lauern ebenso viele Gefahren und Rückschläge wie Chancen. Doch Kairo schenkte der arabischen Welt mehr als die Freiheit zu Wählen und zu Protestieren: Die Lotusrevolution zeigt den Arabern, dass sie eigenständig und unbefangen denken und zu eigenen Lösungen kommen können. Das wäre nicht nur die Geburt eines einzelnen demokratischen Staates, sondern vielleicht eines neuen Zeitalters, in dem Arabien Europa nicht mehr vieles nachmacht wie heute, sondern vormacht wie einst.

© 2011 Gil Yaron - Making the Middle East Understandable

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© 2011 Gil Yaron - Making the Middle East Understandable