Netanjahus Flucht nach vorn
Innerhalb „weniger Wochen“ will Israels Premier Benjamin Netanjahu mit einer neuen Friedensinitiative aufwarten: „Es wird ein Stufenplan sein, der letztlich in der Gründung eines Palästinenserstaates münden wird“, sagte eine hochrangige Quelle im Amt des israelischen Premiers unserer Zeitung. Der Plan werde mit Israels Außenminister Avigdor Liebermann und Washington abgestimmt und beinhalte „weitgehende Zugeständnisse an die Palästinenser“, so die Quelle weiter. Israel sei davon überzeugt, dass die Instabilität in der arabischen Welt noch lang andauern wird. Deswegen sei eine Wiederaufnahme von Verhandlungen mit den Palästinensern unwahrscheinlich, und auch nicht besonders aussichtsreich, sagte die Quelle. Viele Details des Plans wurden noch nicht ausgearbeitet, und er ist so geheim, dass selbst Minister im inneren Kabinett noch nicht über ihn unterrichtet wurden. Er umfasse einseitige Schritte Israels und einen Palästinenserstaat in temporären Grenzen. Doch Netanjahu agiert weniger aus innerer Überzeugung, sondern reagiert eher auf wachsenden Druck von außen und auf seine zunehmende Isolation im Innern. Israels Verbündete und die Palästinensern sehen deswegen keinen Anlass zu Optimismus, sondern eher für Skepsis: „Niemand kennt den Inhalt dieses Plans. Die meisten glauben, dass Netanjahu einfach nur auf Zeit spielen will“, schätzte eine diplomatische Quelle im Gespräch mit unserer Zeitung. Palästinensische Sprecher in Ramallah lehnten jede Diskussion über temporäre Zwischenlösungen als unzureichend kategorisch ab.
Die Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern stehen seit Monaten still. Ramallah betreibt in dieser Zeit eine diplomatische Offensive mit dem Ziel, Israel zu isolieren und internationale Unterstützung für eine einseitige Staatsgründung im September zu gewinnen. Bisher waren sie damit erfolgreich: Mehrere Staaten in Südamerika verkündeten ihre Unterstützung für einen Palästinenserstaat. Laut Quellen in Ramallah erwägen Mitgliedstaaten der EU ähnliche Schritte. Vor rund einer Woche gelang es den Palästinensern, Jerusalem und Washington im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen zu isolieren. Dort stimmten die USA als einziger Staat gegen eine Resolution, die Israels Siedlungspolitik im besetzten Westjordanland scharf kritisierte. US-Präsident Barack Obama wurde dazu gezwungen, zum ersten Mal seit Amtsantritt von seinem Vetorecht Gebrauch zu machen – ein Schritt, der ihn in der arabischen Welt desavouierte, und der bei ihm deswegen zu großem Unmut über Israel führte.
Netanjahu erntet von Verbündeten harte Kritik. Eingeweihte Quellen sprechen von „schweren Spannungen“ im Verhältnis mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, die als beste Freundin Israels in Europa gilt. In Berlin ist man über die mangelnde Kooperation der Israelis mit der EU enttäuscht und immer weniger gewillt, Netanjahu den Rücken zu decken, ohne dafür von Jerusalem Zugeständnisse zu erhalten.
Im Inland wächst die Kritik an Netanjahus Außenpolitik. Ilan Baruch, ein hochrangiger Diplomat und ehemaliger Botschafter, verließ das Außenministerium unter Protest: „Ich kann Israels Politik weder vertreten noch erklären“, teilte Baruch mit. Auch Israels ehemaliger UN-Botschafter Dan Gillerman monierte, dass „wir seit zwei Jahren keine Initiativen ergriffen und keine Aussicht auf Veränderung der Lage geboten haben.“ Dies führe zwangsläufig zu „mehr Isolation und Delegitimation.“
Während Netanjahu jetzt eine neue diplomatische Initiative vorbereitet, scheint Verteidigungsminister Ehud Barak bemüht, Bereitschaft zu konkreten Schritten zu demonstrieren. Anfang der Woche räumte die Polizei zum ersten Mal seit Monaten einen illegalen Außenposten im Westjordanland. Dabei kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit Siedlern. Acht Menschen wurden verhaftet, 15 leicht verletzt. Barak und Netanjahu kündigten die weitere Räumung von mindestens drei weiteren Außenposten an, in denen rund 100 Familien wohnen.
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