„Das Volk und die Armee sind eins!“ Dieser Ausruf begleitete in Ägypten das Ende des Mubarak-Regimes, als die Panzer in den Straßen Kairos nicht wie vom Regime erhofft Demonstranten niederwalzten, sondern sie vor Übergriffen der Polizei schützten. Nichts schien in Syrien der Realität ferner – hier schossen regimetreue Truppen bisher wahllos auf Demonstranten und töteten so mindestens 1500 Menschen, laut manchen Schätzungen sogar über 2000. Als Regimegegner syrischen Soldaten den ägyptischen Slogan zuriefen, antworteten diese mit scharfer Munition. Dieses Wochenende liefen jedoch erstmals scheinbar ganze Armeeeinheiten zu den Rebellen über. Ein Video der Opposition zeigt zig Demonstranten, die in der Stadt Abu Kamal nah der Grenze zum Irak ekstatisch auf Panzern tanzen. Truppen kamen her, um den Aufstand gegen Präsident Bashar Assad brutal niederzuschlagen, doch die Soldaten hatten augenscheinlich genug von der sinnlosen Gewalt der Machthaber. Sie streckten ihre Waffen und brachten den Demonstranten gleich mindestens drei Panzer als Geschenk mit.
Es ist nicht das einzige Anzeichen dafür, dass Assads Regime ins Wanken kommt. Bisher gelang es ihm, die Hauptstadt ruhig zu halten. Doch dieses Wochenende, an dem es zu den größten Massenprotesten seit Ausbruch der Unruhen kam, demonstrierten mehr als eine Million Menschen in ganz Syrien. Diesmal auch Zehntausende in den Straßen Damaskus. Erstmals konzentrierten sich die Zusammenstöße in der Hauptstadt, Sicherheitskräfte töteten dabei mindestens 22 Menschen. Tausende nahmen am Samstag auf dem Berg Qasiun, der ganz Damaskus überblickt, an den Begräbnissen teil: „Die Sprechchöre der Demonstranten konnte man in der ganzen Stadt hört“, berichtete ein Oppositioneller.
Die Opposition bereitet sich jetzt auf den Sturz Assads vor. Am Wochenende trafen sich 400 Exil-Syrer zu einem Kongress in Istanbul. Der Umstand, dass die Türkei, bis vor kurzem ein der engsten Verbündeten Assads, die Regimegegner willkommen hieß, ist weiteres Indiz für die zunehmende Isolation des syrischen Regimes. Die Konferenz zeigte aber auch, wie tief die Oppositionsbewegung gespalten ist. In 41 Jahren brutaler Herrschaft des Assad-Clans konnten sich seine Gegner nicht organisieren. In Istanbul überwog Misstrauen zwischen den verschiedenen Teilnehmern, die einzig der Hass gegen Assad zu einen scheint. Vertreter der Kurden verließen die Konferenz. Oppositionelle in Syrien legten telefonisch ein Veto ein, als die Teilnehmer in Istanbul in Nachahmung des libyschen Beispiels eine Exil-Regierung einrichten wollten, um Assad die internationale Legitimation zu entziehen. Zu tief sitzt das Misstrauen zwischen Oppositionellen im Inland und denjenigen, die seit Jahren im Ausland leben.
In einer Hinsicht schien das Treffen in Istanbul Wirkung zu haben: „Wir wollen das Regime wirtschaftlich zu Boden ringen und den Staat lahmlegen“, erklärte Wael el Hafez, ein Oppositionssprecher. Der Kongress rief zu zivilem Ungehorsam auf. In mehreren Städten Syriens kam es an diesem Wochenende bereits zum Generalstreik. Es mehren sich die Berichte, dass Syrien nach vier Monaten andauernder Proteste kurz vor dem Bankrott steht. Deswegen will der Iran, Assads wichtigste Schutzmacht, Damaskus finanziell unter die Arme greifen. Neben der militärischen Hilfe, die Teheran angeblich seit Wochen gewährleistet, soll Assad ein Sofortkredit in der Höhe von 1,5 Mrd. US$ Syriens Regime gewährt werden. Insgesamt will Teheran Assad angeblich 5,8 Mrd. US$ zur Verfügung stellen, berichtete die französische Zeitung Le Figaro. Zudem will Iran täglich 290.000 Fass Öl schenken. Iranische Agenten sollen Syrien dabei helfen, die eigenen Grenzen zu überwachen, um zu verhindern, dass hunderte Syrer das Land täglich mit ihrer ganzen Habe verlassen.
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